Dienstag, 20. Januar 2009

Baby zum Dessert – Theater K provoziert und begeistert mit Nicky Silvers „Fette Männer im Rock“

Martin Päthel vom Theater K zu Gast im Kulturschock.

Wir haben über "Fette Männer im Rock" gesprochen. Das Stück könnt Ihr jetzt wieder im Theater K sehen. Und hier könnt Ihr Euch das Interview nochmal als Podcast herunter laden.

Marijke Duits war in "Fette Männer im Rock" und hat ihren Eindruck für Euch geschildert:

Die Horrorvorstellung eines jeden Passagiers: Flugzeugabsturz! Für Phyllis Hogan und ihren 11 jährigen Sohn Bishop wird dieser Albtraum wahr. Die Zuschauer sind dank auf sie gerichtete Ventilatoren und Pilotendurchsage live dabei. Aber Mutter und Sohn überleben den Crash und harren 5 Jahre lang auf einer einsamen Insel aus.

Doch nachdem der Lippenstiftvorrat aufgegessen ist, wird schnell klar: Das Leben auf der Insel ist kein Kinderspiel, schon gar nicht im Chanel-Kleidchen und Sand in der Strumpfhose. Phyllis kann das Dahinvegetieren in der Einsamkeit zwischen Wasser, Sand, Wasser und Sand nur schwer ertragen. Der stotternde Bishop bringt sie mit seiner Catherine-Hepburn-Schwärmerei noch mehr auf die Palme. Einfach zum Totlachen, wenn Mona Creutzer als Phyllis hysterisch wird: „kannst du nicht ein bisschen mit den Leichen spielen?“. Dass es nicht beim Spielen bleibt, ist logisch, in der Not frisst der Teufel Fliegen. Und so wird das sonst achso katholische Aachen Zeuge, wie Mutter und Sohn den Arm einer Nonne verspeisen, dem Piloten ein Bein abtrennen und auch vor einem Baby als „Dessert“ nicht Halt machen. Großes Lob an dieser Stelle an die Requisite: die abgetrennten Körperteile sehen erschreckend echt aus. Der blanke Ekel spiegelt sich in den Augen der Zuschauer, wenn sich Mutter und Sohn genüsslich kleine Stückchen (super Idee: Schinken!) von den blutigen Gliedmaßen abschneiden und hungrig in den Mund stecken.

Der tiefschwarze Humor von Autor Nicky Silver strapaziert nicht nur das Zwerchfell, sondern schlägt dem Publikum ganz schön auf den Magen. „Fette Männer im Rock“ ist nichts für schwache Gemüter. Eine Horror-Farce der Extraklasse. Man lacht lauthals und schämt sich im selben Moment. Die Gefühle des Publikums fahren Achterbahn: Urkomische Dialoge werden von Sprüchen abgelöst, die weit unter die Gürtellinie wandern, bis hin zu Kommentaren, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen. Schonungslos nimmt Regisseur Peter Mustafa die Zuschauer mit in ein einsames Leben voller Triebhaftigkeit, Kannibalismus und Ödipuskomplex. Denn die Pubertät zieht nicht spurlos an Bishop vorbei: Wer den lieben langen Tag den Affen beim Sex zuguckt, wird bald selbst zu einem. Sein Objekt der Begierde: seine Mutter. Soundtrack zur Vergewaltigung: Joe Cocker`s „You are so beautiful“. Von Moral keine Spur. Peinlich berührt geht man als Zuschauer in die Pause.

Phyllis Mann und Bishops Vater Howard Hogan hat die Hoffnung aufgegeben, die beiden nochmal wiederzusehen. Er ist Regisseur (von primitiven Alien-Filmen) und beginnt sein Leben neu zu gestalten. Andreas Kunz lässt herrlich übertrieben das Klischee eines Möchtegern-Hollywood-Filmemachers raushängen. An seiner Seite: Porno-Starlet Pam (zum Schießen: Dagmar Rösch), die ihm ein Heiratsversprechen abgequatscht hat. Nach Phyllis und Bishops Rettung ist jedoch nichts wie es früher war: Phyllis ist wahnsinnig geworden und ordnet fröhlich Schuhe. Bishop stottert nicht mehr, ist dafür zum vulgären Aggro-Sohn mutiert. Seine Freizeitbeschäftigung: Morden und die Leichen aufessen. Und so bringt er eine/n nach der/m anderen um: Pam, seinen Vater, etliche Frauen und letztendlich auch seine Mutter.


Auf fette Männer im Rock wartet man vergebens, das ist nur eine Metapher, vielleicht sogar eine autobiographische: der jüdische Autor Nicky Silver ist homosexuell und war früher schwer übergewichtig. Regisseur Peter Mustafa mag Familiengeschichten und anscheinend das Extreme. So verlegt er am Ende des Stückes die Psychiatrie in eine trashige Talkshow, die das Fass des Absurden und Makabren zum Überlaufen bringt. Bishop wird dem sensationsgeilen TV-Publikum zum „Fraß“ vorgeworfen. Das Schlimme: man kann Bishop Hogan nicht böse sein. Martin Päthel spielt den pubertierenden Massenmörder mit solch einer Gänsehaut verschaffenden Leichtigkeit, dass man ihn am liebsten den Kopf tätscheln will. Er wollte doch nur für seine Mutter sorgen. „Und daran ist keiner Schuld. Es liegt in der Natur der Affen“.

Weitere Infos: www.theater-k.de

Alle Fotos: Kevin Armenat

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