Montag, 30. Juli 2007

Montag, 30. Juli

Wortsalat

Andrew Miller: „Die Optimisten“
Clem Glass ist Fotojournalist und berichtet als Reporter über den Bürgerkrieg in Ruanda. Zurück in England versucht der Protagonist dann „seinem Leben einen Sinn zu geben“. An eben diesem Versuch - das Grauen zu vergessen – verzweifelt er. Millers Roman behandelt tiefgehend und eindrücklich die Frage nach der Schuld der Unschuldigen. Zu allererst ist es jedoch ein Buch über das Vergessen und die Möglichkeit oder Unmöglichkeit dessen.

ANDREW, MILLER: Die Optimisten. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Zsolnay Verlag. 330 S., 21,50 €.

Ingo Schulze - Handy. Dreizehn Geschichten in alter Manier.
Er ist der Meister des feinen Humors und hat ein sicheres Gespür für tragikomische Situationen: Ingo Schulze. Ingo Schulze schreibt von den kleinen zufälligen Begebenheiten des Lebens. Z. B. eine abenteuerliche Taxifahrt durch Kairo, der Höhepunkt einer Ehekrise oder eine Bärenjagd in Estland

In einer Mischung aus Realität und Fiktion schafft der Autor in allen Geschichten eine emotionale Mixtur aus Neugier und Unsicherheit.

Der Autor kommt immer entspannt daher und will nichts, außer uns etwas erzählen, es gibt keine Botschaften. Ungezwungen, fast beiläufig werden tragikomische Situationen beschrieben.

Ingo Schulze: Handy. Berlin Verlag, 280 Seiten, 19,90 Die Schiffbrüchigen


Der verschollen geglaubte Jugendroman von Jean Améry wird zum ersten Mal veröffentlicht.

Knapp dreißig Jahre nach Amérys Freitod im Oktober 1978 erscheint der Roman nun endlich in Erstausgabe.

Jean Améry war zeit seines Lebens ein geistiger und tatsächlicher Widerstandskämpfer, der nach seiner Emigration aus Wien 1938 in Belgien lebte, 1943 nach zwei Fluchten und der Mitarbeit in einer Widerstandsgruppe 1944 nach Auschwitz, ein Jahr später nach Mittelbau-Dora und nach Bergen-Belsen kam. »Das Überstehen«, schrieb Améry, »war ein Widersinn.« In seinem Abschiedsbrief vor seinem Freitod im Oktober 1978 ließ der 66-Jährige seine zweite Frau Maria wissen: »Ich kann meinem Niedergang, intellektuellen, physischen, psychischen, nicht zusehen.«

Der Inhalt der Schiffbrüchigen verweist prophetisch auf die bevorstehende Vernichtung der Juden, auf ihre Unterlegenheit gegenüber den Ariern. Die Form des Romans ist ausschweifend pathetisch.

Die Schiffbrüchigen sind kein »Geniestreich«. Es ist ein überfrachteter Jugendroman. Jean Amérys weiteres Werk zeichnet sich durch eine Sprache aus, die der Radikalität seines Denkens entspricht. Diese analytische Askese fehlt den Schiffbrüchigen.

Der Roman Die Schiffbrüchigen erzählt von der aufgeladenen und hoch gespannten Herzensqual eines jungen Mannes vor sehr langer Zeit.

Jean Améry: Die Schiffbrüchigen Roman; Klett Cotta, 2007; 330 S., 22,- €

John Barlow: "Berauscht"
Kein & Aber Verlag 2007, 542 Seiten. In den USA, Großbritannien und Frankreich hat er sich mittlerweile einen Namen gemacht, der britische Schriftsteller John Barlow. In Deutschland hingegen ist er praktisch noch unbekannt, obwohl er von amerikanischen Kritikern mit dem Kult- und Bestseller-Autor T.C. Boyle verglichen wird.

Der Roman "Berauscht" spielt in den Jahren 1869/70. Im englischen Yorkshire wird ein neues Getränk erfunden, und zwar Rhabarber-Saft unter Zusatz von Kokain, was zunächst schrullig-britisch klingt, aber einen handfesten historischen Hintergrund hat: im Jahr 1863 erfindet der Italiener Angelo Mariani ein, wie es heißt, "Stärkungsgetränk", den Mariani-Wein, der aus Bordeaux-Wein und Kokain besteht. Der Kokain-Wein überschwemmt in kürzester Zeit Europa: er wird zum Lieblingsgetränk von Queen Victoria, Papst Pius X. und Papst Leo XIII, der sogar dafür wirbt. 1886 entsteht eine alkoholfreie Variante: der morphiumsüchtige John Stith Pemperton komponiert ein neues Kokain-Getränk und nennt es Coca-Cola.

John Barlow bedient sich des historischen Hintergrunds, bettet ihn allerdings in eine rein fiktive Familiensaga ein. Diese spielt in dem englischen Dorf Gomersal, das wiederum ausgerechnet der reale Wohnort der Schriftsteller-Familie Bronté war, die die ersten Bestseller-Autorinnen der Literatur-Geschichte stellte und die die Welt mit schaurig-schönen Schicksalsromanen überschwemmte.

"Berauscht" ist eine wahnwitzige Parodie auf die melodramatischen Schauerromane des 19. Jahrhunderts, "Berauscht" ist etwas für Liebhaber des Grotesken, des Absurden und des Ausufernden.

John Barlow: Berauscht
Übersetzt von Gottfried Röckelein.
Kein & Aber Verlag, 2007.
542 Seiten, 22.80 €.




1 Kommentar: